…andererseits
Unternehmen und Berater lieben 80 : 20-Lösungen: Wir schätzen und interviewen vermeintliche Experten, statt selbst aufwendige Analysen durchzuführen. Wir stellen Hypothesen auf und vergessen die mühsame Beschreibung von vollständigen und überlappungsfreien Lösungsräumen. Abstimmrunden ersetzen zunehmend die strukturierte, kriterienbasierte Lösungserarbeitung. Die Grenze zwischen Pragmatik und Pragmatismus ist sehr schnell überschritten.
Warum? Weil wir glauben, dass das so sein muss. Der Druck nimmt zu, die Dynamik und die Unsicherheit auch. Zu fragen wäre: Lohnt sich Genauigkeit auch außerhalb der Buchhaltung? Lohnt sich das Invest in die Schönheit von durchdachten und stabilen Lösungen?
Ich glaube schon. Immer öfter. Und zwar gerade dann, wenn es darum geht, die Zukunft wirklich zu gestalten mit neuen Organisationen, Prozessen und Produkten. Denn der längere Weg ist manchmal der kürzere. Er ermöglicht uns Erkenntnisse, derer wir für nachhaltige Qualität und Effizienz dringend bedürfen.
Es wäre wünschenswert, 80:20 Lösungen für Organisationen und Prozesse anzustreben, nicht für die Produkte. Übergenau, zu 100% strukturierte Prozesse ersticken die Kreativität und Kommunikation untereinander im Keim. Das macht die Kontrolle für die Führungskräfte zwar viel einfacher, hemmt allerdings die Entwicklung.
Bei den Produkten hingegen sind wir in Deutschland quasi historisch verpflichtet immer 100% abzuliefern. Gerade der deutsche Mittelstand ist damit zu einem Fundament unserer Wirtschaft geworden. Ich denke, nirgendwo sonst auf der Welt (vielleicht noch in Japan?) arbeiten Mitarbeiter über Generationen an ein und demselben Detail um es zu Perfektion zu bringen. Das macht letztlich die Qualität aus, die sich selbst in China nicht kopieren lässt…
Ich finde das Argument überzeugend, dass Prozesse und Abläufe nicht zu 100% scharf beschrieben und fixiert werden können, denn die Wirklichkeit ist ja oft überraschend anders, als ursprünglich gedacht.
Man kann den Impuls allerdings auch so verstehen, dass es sich bei der Festlegung von Prozessen unbedingt lohnt, die letzte Meile zu gehen und die relevanten Fragen wirklich konsequent zu Ende zu denken und zu beantworten.