Magazin
Im Interview

Pascal Kaufmann
Neurowissenschaftler und Gründer des Start-Ups
Startmind
Autoren

Rainer Hoffmann
Senior Partner bei h&z

Dr. Anne Cleven
Senior Consultant bei h&z
Pascal Kaufmann forscht im Bereich künstliche Intelligenz und Cyborg. Er gilt als radikaler Vordenker – auch was digitale Perspektiven für Unternehmen betrifft. Rainer Hoffmann und Dr. Anne Cleven von h&z haben mit dem Schweizer Wissenschaftler und Unternehmer gesprochen.
Cleven: Herr Kaufmann, mit Ihrer Firma Starmind erstellen Sie für Unternehmen sogenannte „Corporate Brains“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Wir ermöglichen den Aufbau unternehmens-weiter Know-how-Netzwerke. Selbstlernende Algorithmen identifizieren Mitarbeiter aufgrund ihrer Interaktion mit dem Netzwerk als Experten für bestimmte Themen. Es entsteht also eine Art virtueller Super-Organismus, mit dem wir dem Unternehmen die Möglichkeit verschaffen, mit 1.000 Gehirnen gleichzeitig zu denken.
Hoffmann: Welche Technologien kommen hierbei konkret zum Einsatz?
Wir nutzen künstliche neuronale Netze, die relevante Mitarbeiter-Aktivitäten innerhalb des Netzwerks analysieren und daraus ein kontinuierlich wachsendes Wissen über individuelle Kenntnisse der Mitarbeiter generieren. Aus der Analyse der Themen, mit denen sich ein Mitarbeiter beschäftigt, zu denen er sich austauscht und Inhalte entwickelt, erstellt unsere Technologie selbstständig Know-how-Profile.
Cleven: Neben Starmind arbeiten Sie aktuell daran, den sogenannten „Brain Code“ zu entschlüsseln. Können Sie uns dazu etwas mehr sagen?
Das Gehirn ist kein Computer, vielleicht ist es eine Art Super-Organismus mit hundert Milliarden Akteuren, die auf Basis ganz simpler Faktoren miteinander kommunizieren. Wir sind gerade dabei dies zu erforschen. Demjenigen, dem es gelingt, den „Brain Code“ zu entschlüsseln, dem sind quasi keine Grenzen gesetzt. Daher versuchen sich zahllose Organisationen gerade an dieser Herausforderung. Ich bin überzeugt, dass wir uns an diesem Wettlauf beteiligen und diesen aktiv mitgestalten müssen. Und wir glauben, dass Deutschland und die Schweiz für diese Forschung gute Standorte sind, auch weil es in diesen Ländern entsprechende ethische Leitplanken gibt.
Cleven: Wie stehen Sie zum Thema Big Data im Zusammenhang mit künstlichen Algorithmen, also der intelligenten Analyse großer unstrukturierter Datenmengen?
In meinen Augen ist Big Data gute Statistik, die Auswertung und Analyse großer Datenmengen. Big Data und künstliche Intelligenz haben für mich im Grunde nichts miteinander zu tun. Große Datenmengen sind für echte künstliche Intelligenz nicht sehr interessant. Wichtiger wird „Small Data“ sein, nicht die Masse der Information, sondern der geniale Schluss aus eigenen Beobachtungen, also das Prinzip der Intelligenz selbst, das wir mithilfe von Algorithmen künstlich immer besser nachbilden können. Hierzu ein Beispiel: Wenn Millionen von Katzenbildern benötigt werden, damit ein Algorithmus erkennen kann, dass auf einem Bild eine Katze dargestellt ist, dann hat das für mich nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun. Anders hingegen, wenn der Algorithmus in der Lage ist, das Prinzip Katze anhand wesentlicher Merkmale zu verstehen, so wie auch Kleinkinder Konzepte erlernen. Das ist in meinen Augen der künftige Weg der künstlichen Intelligenz, basierend auf Small Data und vollends neuartigen Ansätzen.
Cleven: Die Arbeitswelt verändert sich durch die zunehmende Digitalisierung. Wie sollten sich Unternehmen auf diese Herausforderung vorbereiten?
Sie sollten sich darauf einstellen, dass die Struktur „Firma“ als in sich geschlossene Einheit nicht zukunftsträchtig und auch schon überholt ist. In Zukunft werden Geschäftsprozesse fallweise organisiert werden, hier spielt das Stichwort „Liquid Workforce“ eine große Rolle. Zuständigkeiten werden anhand von Fähigkeiten und Kenntnissen immer variabler und nicht mehr zwangsläufig innerhalb der klassischen Unternehmensgrenzen vergeben werden. Die Umstellung wird vor allem für Beratungs-, Automobil- oder Bankkonzerne schmerzhaft werden, weil diese teils noch in sehr klassischen Unternehmensstrukturen verhaftet sind. Es gibt allerdings auch kein Patentrezept für einen Übergang in die „neue Welt“.
Hoffmann: Was sind die wichtigsten Ratschläge, die Sie Unternehmen angesichts der von Ihnen prognostizierten Entwicklung geben?
Unternehmen sollten den neuen Entwicklungen und Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz bietet, aber auch neuen Zusammenarbeitsmodellen gegenüber offen sein. Ein Ansatz ist, neuen Technologien vorbehaltlos entgegenzutreten. So können beispielsweise sehr agile informelle Netzwerke organisiert werden. Unternehmen müssen sich in Zukunft selbst radikal infrage stellen und einen Blick von außen auf das eigene Unternehmen zulassen. Darüber hinaus erweist es sich als sinnvoll, wenn Unternehmen sich ein Ökosystem an kleinen Start-ups „halten“ und auch intern ein digitales Mindset entwickeln und sich trauen, neue Technologien einzusetzen und zu erproben. Es wird notwendig werden, in Talente zu investieren. Dabei werden nicht nur junge, sondern auch ältere Menschen, Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen benötigt. Wichtig dabei: Nur Technologien, die auf den Kundennutzen einzahlen, werden auch wirklich genutzt. Und dann verbreiten sie sich in einer zunehmend vernetzten Welt rasend schnell.
Cleven: Können wir in der Beratung ein Mittelsmann sein? Und wenn ja, wie?
In Deutschland und auch in der Schweiz gibt es extrem fortschrittliche, in der Technologie führende Unternehmen. Aber der Abstand in der Adaption von Technologien im Vergleich zu den USA oder Asien ist ganz klar vorhanden. Ich denke, dass Sie als Unternehmensberater da einen bedeutenden Beitrag leisten können: Ängste nehmen, Wissen vermitteln, Komplexität übersetzen, Fragen stellen, eine Außensicht anbieten. Noch ist Deutschland ein schwieriger Markt für diese Entwicklungen.
Cleven: Sie sind überzeugt, dass neue Technologien in dieser Konsequenz kommen werden. Ist es Ihrer Meinung nach unausweichlich, dass diese Technologien akzeptiert werden?
Ja, ich sehe diese Akzeptanz als unausweichlich an. Ich finde die Vision zudem charmant, weniger oder gar nicht mehr zu arbeiten, sondern sich von spannenden Technologien unterhalten zu lassen. Da fehlt den Menschen heute manchmal die Fantasie. Alle reden gerade von selbstfahrenden Autos. Aber wer wird die noch brauchen, wenn wir uns vom Sessel aus in künstliche Welten versetzen können und virtuell andere Länder bereisen?
Hoffmann: Die Veränderungen, die Sie ansprechen, haben ja auch etwas mit politischer Willensbildung zu tun. Wir haben Gesetze, die das erschweren. Meinen Sie, das wird alles hinweggefegt?
Meiner Erfahrung nach ist der technologische Fortschritt unaufhaltsam. Erst in einem zweiten Schritt werden entsprechend benötigte Gesetze entwickelt. Wer vom notwendigen Schutz der Privatsphäre spricht, der verkennt, dass die Menschen ihre Privacy erfahrungsgemäß sofort aufgeben, wenn ein großer Mehrwert gegenübersteht. Da helfen auch Gesetze nicht. Sie können das unethisch nennen, aber Technologie ist blind für Ethik. Wir Menschen sind verantwortlich dafür und müssen entscheiden, ob wir Technologie zum Wohle oder zulasten des Menschen und der Menschlichkeit nutzen.
Herr Kaufmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.